Episode 20-09: Die Vergangenheit holt jeden ein: Unterschied zwischen den Versionen

Aus Aloran Kompendium
Wechseln zu: Navigation, Suche
(Henk bei Octavia)
Zeile 228: Zeile 228:
 
Kenji fügte noch hinzu:
 
Kenji fügte noch hinzu:
 
<blockquote style="background-color: Ivory; border: solid thin grey;">
 
<blockquote style="background-color: Ivory; border: solid thin grey;">
„''Die Reise in den Norden hat uns in den Besitz eines Artefakts namens Drachentränen gebracht. Und wie wir inzwischen wissen, ist dieser Gegenstand an unser Blut gebunden und an unseren Anteil an dieser Gemeinschaft. Niemand von uns kann sich von der Gemeinschaft entfernen, ohne dass die Drachentränen Schaden davontragen und sogar zerstört werden. Wir wissen noch nicht ganz genau, was wir mit diesen Drachentränen anfangen sollen, aber sie sind ganz sicher integraler Bestandteil der Lösung im Kampf gegen das Dunkel. Und das bestätigt unsere Vermutung, dass wir alle unser Leben und unser Schicksal geben müssen und an nichts anderes gebunden sein können. Das ist der Wille der Götter.''“
+
„''Die Reise in den Norden hat uns in den Besitz eines Artefakts namens Drachenträne gebracht. Und wie wir inzwischen wissen, ist dieser Gegenstand an unser Blut gebunden und an unseren Anteil an dieser Gemeinschaft. Niemand von uns kann sich von der Gemeinschaft entfernen, ohne dass die Drachenträne Schaden davonträgt und sogar zerstört wird. Wir wissen noch nicht ganz genau, was wir mit dieser Drachenträne anfangen sollen, aber sie ist ganz sicher integraler Bestandteil der Lösung im Kampf gegen das Dunkel. Und das bestätigt unsere Vermutung, dass wir alle unser Leben und unser Schicksal geben müssen und an nichts anderes gebunden sein können. Das ist der Wille der Götter.''“
 
</blockquote>
 
</blockquote>
 
Nachdem Kenji und sein Zeuge gehört wurden, fragte Questorin Garlena ihre ehemalige Schwester Westwind nach dem Grund für die Trennung. Talina erklärte, dass sie nicht entschuldigen könnte, was sie getan hatte, und dass sie unüberlegt mit Kenji eine körperliche Verbindung eingegangen war. Dabei war ihr vollkommen bewusst gewesen, dass sie ihr heiliges Gelübde vor der großen Mutter Garlen gebrochen und damit eine große Freveltat vollbracht hatte. Talina gestand ein, dass sie bereits damals nach der gemeinsamen Nacht die Götter um Vergebung hätte bitten müssen, sich jedoch zu sehr geschämt habe und noch darauf wartete, dass Kenji sich zu ihr bekennen würde. Doch nun wollte sie sich endlich von Kenji lösen, da ihr inzwischen bewusst war, dass er einen anderen Weg gewählt hatte und die Götter ihn als Helden auserkoren haben. Sie bat deshalb die Questoren, sie von dieser unmöglichen Verbindung mit Kenji zu trennen, damit sie beide neue Wege im Sinne der Passionen beschreiten können.
 
Nachdem Kenji und sein Zeuge gehört wurden, fragte Questorin Garlena ihre ehemalige Schwester Westwind nach dem Grund für die Trennung. Talina erklärte, dass sie nicht entschuldigen könnte, was sie getan hatte, und dass sie unüberlegt mit Kenji eine körperliche Verbindung eingegangen war. Dabei war ihr vollkommen bewusst gewesen, dass sie ihr heiliges Gelübde vor der großen Mutter Garlen gebrochen und damit eine große Freveltat vollbracht hatte. Talina gestand ein, dass sie bereits damals nach der gemeinsamen Nacht die Götter um Vergebung hätte bitten müssen, sich jedoch zu sehr geschämt habe und noch darauf wartete, dass Kenji sich zu ihr bekennen würde. Doch nun wollte sie sich endlich von Kenji lösen, da ihr inzwischen bewusst war, dass er einen anderen Weg gewählt hatte und die Götter ihn als Helden auserkoren haben. Sie bat deshalb die Questoren, sie von dieser unmöglichen Verbindung mit Kenji zu trennen, damit sie beide neue Wege im Sinne der Passionen beschreiten können.

Version vom 19. Dezember 2021, 17:39 Uhr

Icon-Abenteuer.png
Kap.20: Das Vermächtnis des Aequus


Episode 09: Die Vergangenheit holt jeden ein

3./4. Nauloar 351 i.J.P.: Adarian und Henk instruieren das neue Wachpersonal. Kenji wird mit zwei Personen aus seiner Vergangenheit konfrontiert und schafft es schließlich mit dieser abzuschließen. Octavia erledigt hingegen Trauerarbeit.


3. Nauloar 351 i.J.P.

Kenjis Besuch in Kronstadt

Am späten Abend brach Kenji noch einmal nach Kronstadt auf. Als er die Villa verlies, wurde er von zwei Hunden gestellt und mit lautem Gebell festgesetzt. Hundemeister Gorbas kam und entschuldigte sich bei Kenji, welchen er anschließend seinen Hunden vorstellte. Adarian und Henk kamen dazu und spekulierten, warum Kenji so spät noch unterwegs wäre. Kenji begleitete Henk schweigend zum Tor und der Torwächter Angrond wurde angewiesen, ihn bei seiner Rückkehr wieder auf das Anwesen zu lassen. Henk bat Kenji auf dem Weg vorsichtig zu sein und gab ihm noch eine Laterne mit.

Kenji begab sich zur Perlenschleiferei und suchte Talina auf.

Sie wusste, um wen es sich handelte, einen Augenblick bevor seine warme und ruhige Stimme ihren Namen aussprach.

"Talina."

Sie blickte von ihren Unterlagen auf und wandte sich zu dem Questor um, der einige Schritte von ihr entfernt stand und sie mit seinen großen, traurigen Augen ansah. Seit sie ihn das erste Mal getroffen hatte, war dieser leidgeprüfte, nachdenkliche Blick nie ganz aus ihnen gewichen, egal wie sehr sie versucht hatte, ihn davon abzulenken. Sie erhob sich und ging ihm entgegen, und er umarmte sie ganz so, wie sie es sich sehnlichst gewünscht hatte. Es dauerte keinen ganzen Augenblick, da spürte sie, dass etwas ganz und gar nicht stimmte. Aber sie wollte den Moment noch ein wenig bewahren, damit sie ihn nicht vergessen würde, also tat sie so vor sich selbst, als ahnte sich nichts, und drückte ihre Nase in den weichen Stoff seiner Robe, die ganz sanft nach ihm duftete. Schließlich wich er behutsam zurück und sie blickte zu ihm auf.

"Ich dachte mir schon, dass du noch wach bist, Talina. Du hast nie gut geschlafen. Das hatten wir immer gemeinsam."

"Was ist denn los, Kenji?"

"Komm mit, ich will dir etwas zeigen."

Es war eine kühle Nacht, der Atem bildete kleine Wölkchen vor ihren Mündern, wenn sie redeten. Sie standen in der Gasse vor dem Besitz ihres Vaters, in dem sie ihre kleine Zuflucht eingerichtet hatte. Über ihnen schien der Mond auf das schlafende Kronstadt. Das Pflaster glitzerte vom Raureif und der Questor blickte aus unerfindlichen Gründen zu den spärlichen Wolken hinauf.

"Was willst du mir denn zeigen, Kenji? Hat das nicht auch Zeit bis morgen? Es ist tiefste Nacht und die Sterne funkeln uns an, weil sie sich fragen, warum wir noch auf sind."

"Aber darum geht es ja gerade, Talina. Siehst du das Sternenbild da? Die Theraner schreiben es Silenda zu. Die Elben nennen sie Ithildim. Wir kennen sie als Nauda. Viele Bauern denken, der Mond ist Naudas Zeichen, aber das ist eine unvollständige Sicht der Dinge. Verfolg einmal diese Linie dort... siehst du es?"

"Es führt direkt zur Mondsichel."

"Diese Konstellation hat das Sternenbild nur zwei Mal im Jahr. Einmal jetzt, und einmal, mit umgekehrten Vorzeichen, wenn die Ernten anstehen. Die Bauern benutzen es für ihre Planungen, damit sie nicht vom Wetter überrascht werden. Seit dem Auftreten der Plage sind Vorhersagen für sie schwierig bis unmöglich, aber Nauda lässt sie nie im Stich. Ohne sie würden viele Barsaiver jedes Jahr hungern."

"Aber das weiß ich doch. Ich habe das Heiligtum schon mehrfach besucht. Es ist nur eine Tagesreise weit entfernt. Was willst du mir wirklich erzählen?"

Kenji schaute jetzt nicht mehr in den Himmel.

"Nauda behütet alles verborgene Wissen, heißt es. Vielleicht zu unserem Besten. Und doch hoffe ich, dass sie mir eines Tages mehr zugesteht, als diese vermaledeiten Visionen. Ich weiß nicht, was sie mir sagen möchte. Beim besten Willen nicht. Ich war in einem anderen Heiligtum im Norden, weisst du. Ich habe gebetet. Gefleht, geschriehen; umsonst. Es hat etwas mit meiner Vergangenheit zu tun. Wenn Pyrrhon noch leben würde, könnte er mir vielleicht helfen. Aber den Göttern hat es gefallen, auch ihn zu nehmen. Wie so vieles."

"Du meinst mit deiner Kindheit?"

"Noch früher. Mit meiner Geburt. Es begann am Anfang. Wie so vieles. Talina. Ich muss dir nichts über Bestimmung erzählen. Niemand auf der Welt - in meiner Welt, heißt das - weiß darüber mehr als du. Wie war das? Ein Leben für ein Leben? Du warst noch so klein. Und doch hast du intuitiv und ohne jede Ausbildung mehr verstanden als die ganzen Gelehrten. Die Götter sind fair, aber grausam. Du tauschtest dein Leben für das deines Vaters. Und obwohl du nur ein unbedeutendes Mädchen aus dem unwichtigen Kronstadt warst, geschah das Wunder und die Götter erhörten dich!"

Talina spürte, das ihr der Verlauf des Gespräches nicht behagte. Doch auf was wollte Kenji hinaus? In ihrem Inneren rumorte es, doch sie vermochte nicht, ihn aufzuhalten. Aus ihr kam kein Wort.

"Ich verstand das, weisst du. Damals wie heute. Wirklich. Natürlich war es Unsinn. Die Götter würden dir das geschenkte Leben deines Vaters nicht wieder stehlen, wenn du der Garlen deine Dienste versagt hättest, um bei mir zu sein. Aber du spürtest, dass etwas falsch war. Das es Unrecht war. Also hörtest du auf den Teil deines zerissenen Herzens, der den Göttern zugetan war. Es muss nach Bitterkeit klingen, wenn ich so trocken davon erzähle, aber das ist es nicht. Ganz im Gegenteil. Ich habe dich immer für deinen starken Glauben bewundert. Ihm nachgestrebt. Tatsächlich habe ich sogar versucht, nach deinem Vorbild zu handeln. Als ich Octavia, die Totgesagte wiedertraf, spürte auch ich den Wind der Bestimmung ganz deutlich über mein Angesicht streifen. Und weil ich nach Naudas Gesicht spürte, dass die Reise in den Norden ein Opfer verlangte, war ich bereit, ein Leben für ein Leben zu geben. Ganz wie du für deinen Vater. Wenn die Götter nach Octavias Leben griffen, würde ich meines dafür geben. Doch sie nahmen Noah zu sich. Ich weiß nicht, was ihr Plan für mich war. Aber sie waren offensichtlich noch nicht fertig mit mir."

Langsam formte sich die aufkommende Bitterkeit in ihrem Mund zu einem Wort.

"Oc...tavia."

"Ich weiß, es muss wie eine gemeine Ausrede klingen. Schicksal. Bestimmung. Aber darauf will ich gar nicht hinaus. Atme die kalte Luft, Talina, und hör in dich hinein. Riechst du das?"

"Was, Kenji?"

"In einer Stunde wird die Sonne aufgehen. Und die Götter mögen mich strafen, wenn ich nach all der Zeit das Lügen anfange, aber ich glaube an Vorsehung. Doch glaube ich an einen Zwang? An unwiederbringliches Schicksal, das eintreffen wird, egal was wir dafür oder dagegen tun? Oh nein. Die Passionen haben diese Ebenen vor langer, langer Zeit verlassen. Vielleicht für uns, vielleicht auch aus anderen Gründen, die wir Sterbliche nicht begreifen können. Aber ich bin mir ganz sicher: Alles was sie tun, ist uns Pfade in der Nacht aufzuzeigen. So wie diese gepunktete Linie da oben, die den Bauern zeigt, wann sie ihre Saat auswerfen können. Zwingen die Götter uns, wann wir zu ernten haben? Nein. Aber wenn wir ihre Zeichen richtig lesen, müssen wir nicht frieren und nicht hungern leiden. Vielleicht haben die Götter dir geraten, Garlen zu dienen. Weil sie ahnten, dass du vielen Menschen helfen könntest. Aber die Entscheidung dazu hast nur du getroffen. Weil du an sie geglaubt hast. Hast du damit das Leben deines Vaters gerettet? Vielleicht. Wer weiß. Es lag nie in deiner Hand, so viel ist mir gewiss. Du konntest nur eine Entscheidung treffen. Für dich.

Ich bin nicht hergekommen, um dir zu sagen, dass das Schicksal mich von dir fort und in Octavias Arme getrieben hat. Ich weiß nicht, was sie sich erhoffen. Die Entscheidung habe ich ganz alleine getroffen. Weil auch ich es in einem Teil meines Herzens spüre. Und ich muss daran glauben, dass ich auf den richtigen Teil höre. Wie du es mir beigebracht hast. Liebe Talina."

Sie hatte Tränen in den Augen, aber sie liefen nicht ihre Wangen hinab.

"Was sagst du?"

Kenji blickte Talina erwartungsvoll an, doch diese wich nur wie in Trance einen Schritt von ihm zurück und blieb dann wie eine erstarrte Salzsäule stehen. Auch ihr Blick wendete sich von Kenji ab und ihre immer noch tränenleeren Augen senkten sich reglos zu Boden. Es war unmöglich ein Gefühl auf ihrem sonst immer so hoffnungsvollen Gesicht zu lesen und sie wirkte in sich gekehrt und blieb eine ganze Zeit lang wort- und regungslos auf der Stelle stehen. Kenji spürte, dass sich - hingegen ihrer äußeren Paralyse – in ihrem Kopf anscheinend ein ganzes Feuerwerk von Gedanken entlud und wusste, dass sie etwas Zeit brauchte, um auf seine Worte zu reagieren.

Irgendwann, als Kenji ihr Schweigen schon kaum noch ertragen konnte, begannen ihre zitternden Lippen sehr leise wieder Worte zu formen.

Was… soll ich dazu noch sagen?

Bei diesen Worten wich sie noch einen Schritt weiter von Kenji fort in Richtung der Eingangstür ihres Elternhauses. Noch nie hatte die warme und mütterliche Talina so kalt und distanziert gewirkt und ihre Mimik glich einer theranischen Totenmaske.

Du hast dir das ja anscheinend ganz genau überlegt. Wie immer...

Ihre Worte klangen pragmatisch und gefühlskalt, trotzdem konnte Kenji keinen direkten Vorwurf aus ihnen herauslesen.

Plötzlich hörten die beiden einen Schmerzensschrei aus Talinas Krankenstube. Dieser löste die Lähmung im Körper der pflichtbewussten Questorin.

Du… solltest zu deinen Freunden gehen. Ich... ich… muss mich nun um einen Patienten kümmern.

Kaum hatte sie dies ausgesprochen, hatte sie Kenji bereits den Rücken zugewandt, die Tür geöffnet und war in dem Haus verschwunden, so dass sie ihm keine Chance ließ, dieses für sie eindeutig schmerzhafte Gespräch weiterzuführen. Kenji blieb allein in der Kälte des Herbstmorgens zurück und spürte selbst, dass es besser sei, vorerst Abstand zu Talina zu wahren.

Henk bei Octavia

Octavias Zimmer

Nachdem er Kenji zum Tor gebracht hatte, brachte Henk Octavia gegen den Schock einen Becher barsavischer Gewürzwein mit Obst und Käse aufs Zimmer. Sie saß an ihrem Schreibtisch und schrieb einen Brief nach Thera, um die Vorfälle zu schildern. Er informierte Octavia darüber, dass die Hunde auf dem Gelände patrouillieren und sie noch nicht kennen. Henk trank noch einen Becher Wein mit Octavia und die beiden stoßen auf bessere Zeiten an. Henk lenkte Octavia noch einige Zeit mit Informationen über die Organisation des Anwesens ab, was diese sehr dankbar aufnahm. Nach seinem Besuch bei Octavia begann Henk wieder seine Runden auf der Nordseite des Hofes zu drehen.

Kenjis Rückkehr

Die Nacht entwickelte sich typisch für den Früh-Herbst und war sehr nebelig und kalt. Kurz vor Mitternacht kehrte Kenji aus Kronstadt zurück und wurde vom Torwächter eingelassen. Die Hunde begrüßten Kenji, als er den Hesindeschrein des Anwesens aufsuchte und um Einsicht bat, wie er aus der verfahrenen Situation herauskäme. Nachdem er keine Erleuchtung erhalten hatte, wanderte er langsam durch den Innenhof und machte sich Gedanken über die Gestirne über ihm.

4. Nauloar 351 I.J.P.

Die Nachtwache

Adarian kontrollierte auf seiner Südroute die Klippen und konnte auf einem Turm nur die Rüstungspuppe erkennen. Er rief die Wache Merek an weckte ihn damit anscheinend auf. Als dieser sich hungrig zeigte, besorgte Adarian etwas aus dem Haupthaus zu essen. Auf dem Weg durch das Atrium begegnete er Kenji und begrüßte ihn, doch Kenji war betrübt und in Gedanken versunken.

Adarian, ich habe das Gefühl, egal wohin uns die Reise bringt ... ich meine: Natürlich, wir kämpfen gegen die Schwarzmagier, wir versuchen überall zu helfen, aber letzten Endes: geht es den Menschen nicht immer schlechter, wenn wir da waren? Es ist so, als ob wir eine riesige Spur der Verwüstung hinter uns herziehen. Egal, was wir versuchen.

Adarian verstand und entgegnete:

Wir dürfen uns davon nicht entmutigen lassen. Manchmal muss es erst schlimmer werden, bevor es besser werden kann.

Kenji hatte das Gefühl, dass ihre ganze Hilfe nicht wirklich etwas bewirken würde. Er verglich Barsaive mit einem leckgeschlagenen Schiff, welches immer wieder gerade so über Wasser gehalten würde, statt es in den Hafen zu bringen, wo es generalüberholt würde. Adarian entgegnete, dass sie doch den Hafen ansteuerten, solange aber natürlich das Schiff einfach über Wasser halten mussten. Schließlich beschoss Kenji, schlafen zu gehen, und Adarian holte Proviant, bestehend aus theranischen Weißbrot und Würstchen, aus der Küche. Er brachte der schwächelnden Wache den guten Proviant und versorgte auch die anderen auf ihren Türmen, so dass alle die Nacht wach und munter überstanden.

Am Morgen

Hausverwalter Basin lud kurz vor Sonnenaufgang Adarian und Henk zum Frühstück ein. Henk zahlte die Söldner aus und heuerte sie für vier Heller am Tag weiterhin als Wachpersonal an. Er zeigte ihnen ihre Quartiere im Wachhaus und sicherte ihnen Verpflegung zu. Die Wachen holten ihre Sachen aus der Stadt und Henk ging mit durchweichter Kleidung zum Frühstück auf die Terrasse. Octavia war ebenfalls frühzeitig wach und genoss vorher noch den Sonnenaufgang in der Therme, während Elwene Kenji weckte.

Zum Frühstück gab es gute theranische Speisen und Brot aus weißem Mehl, was in Barsaive eher unbekannt ist. Nach der kalten und nebeligen Nacht lud die Sonne Elwene dazu ein, alle Türen zur Terrasse aufzusperren, so dass die Helden während des Essens einen wunderschönen Ausblick auf den Sonnenaufgang über dem Arasmeer genießen konnten. Henk informiert Octavia über die Einstellung der neuen Wachen und alle machen sich Gedanken, wie es jetzt nach Vorax Abdankung mit dem Anwesen weitergehen sollte, weil es früher wunderschön gewesen war. Octavia plante, die Villa in ihren Ursprünglichen Zustand zurückzuversetzen. Sie erwartete in den nächsten Tagen die Ernennung eines neuen Prokonsuls und Kenji teilte mit, dass er und Iustus gute Fortschritte in der Sichtung der Bücher machten. Iustus saß seit gestern im Keller und studierte ein besonderes Buch, welches er entdeckt hatte.

Octavia machte sich Sorgen um Augustus und Adarian und Henk beruhigten sie, dass er sich irgendwo etwas zum Schlafen suchen und sich einem Gottesurteil unterziehen wollte. Basin meldete die Ankunft von Jast Heidiger, welcher Kenji um ein Gespräch bat.

Gefangenenbesuch

Adarian, Henk und Octavia suchten die Gefangenen im Keller auf, welche bereits etwas Brei zum Frühstück bekommen hatten. Octavia informiert über die baldige Einsetzung eines neuen Prokonsuls, welcher sich dann um die Gefangenen kümmern werde. Vorax erhob lauthals Einspruch und beklagte sich über eine nicht standesgemäße Unterbringung. Octavia verwies ihn auf ihren Anwalt Elatus, bei dem er eine Beschwerde einreichen könne, und sie verließen die Zellen.

Henk suchte zuletzt noch den Magus auf und erkundigte sich nach seinem Befinden, was Vorax erneut verärgert. Beim Verlassen der Zelle erfuhr Henk, dass die Kerker der Burg Kronstadt überlaufen und die Wachen Überstunden schieben mussten aufgrund der ganzen Verhaftungen. Er ging nach oben und legte sich mit Adarian im Wachhaus schlafen.

Jast konfrontiert Kenji

Jast hatte um ein persönliches Gespräch mit Kenji gebeten und war augenscheinlich etwas unzufrieden. Kenji spürte sogar eine unterdrückte Antipathie ihm gegenüber. Jast berichtete Kenji, dass er heute früh am Morgen noch bei Talina war, da er ihr noch einige Vorräte für ihr kleines Krankenhaus besorgt hatte. Als er sie vorfand, war sie am Boden zerstört und stand geistig ganz neben sich. Nachdem er sie lange wortlos getröstet hatte, erzählte sie von dem Kuss von Kenji, den er ihr nie hätte geben dürfen. Kenji gestand einen Augenblick menschlicher Schwäche ein und versuchte zu erklären. Jast war ziemlich wütend, dass Kenji sich Talina zuerst mit einem Kuss annäherte, ihr erneut Hoffnungen auf eine gemeinsame Zukunft machte und ihr dann eine fadenscheinige Geschichte über die Wege des Schicksals und Octavia erzählte, um all ihre Hoffnungen wieder zu zerstören. Kenji bemerkte, dass Jast bei seinen Worten deshalb so aufgebracht war, weil er vermutlich selbst starke Gefühle für Talina hegte, und bat ihn, offen zu reden.

Jast erklärte, dass er bereits vor längerer Zeit alles über ihre Vorgeschichte und ihre gemeinsame Nacht erfahren habe. Er offenbarte Kenji, dass er von ihrer gemeinsamen Nacht wusste und rief ihm in Erinnerung, dass es für eine Garlenquestorin nichts Schlimmeres gibt, als ihr Gelübde zu brechen. Jast erklärte Kenji, dass Talina den Tempel nicht nur verließ, weil sich die politischen Umstände änderten, sondern weil sie mit ihrem Gewissen kaum noch leben konnte. Sogar ihre Heilkräfte litten darunter und Talina konnte lange keine Wunder sprechen. Doch als Kenji zurückkehrte, spürte sie, dass die Göttin ihr eine zweite Chance geben würde und gemeinsam mit Kenji gelang ihr das große Wunder, welches den Ratsherrn rettete. Für Talina war dies ein Zeichen, dass die Göttin ihr verzeiht, wenn sie mit Kenji zusammenbleibt und ein ehrbares Leben führt.

Jast verstand auch überhaupt nicht, warum Kenji sie bereits damals sitzen ließ, wo es ihm doch bewusst sein sollte, dass eine Garlenquestorin ihren Körper aus Liebe nicht jedem hingibt und dass Talina nie eine wankelmütige Frau war, die sich auf unüberlegte Handlungen einlässt. Kenji wandte erklärend ein, dass er damals fliehen musste und nicht einfach so verschwunden war. Kenji versuchte zu erklären, dass Talinas Versprechen an Garlen einem gemeinsamen Leben der beiden im Wege stand. Doch Jast konnte nicht verstehen, warum er sie damals nicht mitgenommen hatte. Kenjis eingestandene menschliche Schwäche war für Jast keine Entschuldigung, da gerade ein Questor nicht unbewusst und triebgesteuert handeln dürfe. Für ihn gibt es deshalb überhaupt keine Entschuldigung, die ausreichen könnte, um Kenjis menschliches Versagen wieder gut zu machen. Jast gab aber nicht nur Kenji allein die Schuld an allem, da bereits Pyrrhon große Fehler bei ihm gemacht habe, wenn er ihm nichts über Anstand beigebracht hätte. Er hielt Pyrrhon für einen weisen Mann, aber einen schlechten Lehrer, der Kenji anscheinend nie beigebracht habe, dass ein Questor in allen Lebenslagen Selbstlosigkeit zeigen müsse. Kenji spürte deutlich, wie auch Jast mit Talina mitlitt und es anscheinend kaum ertragen konnte, dass Kenji ohne darüber nachzudenken ihre Ehre derart beschmutz hatte.

Jast erinnerte Kenji daran, dass für viele Bauern und traditionsbewusste Kronstädter eine gemeinsam verbrachte Nacht einem Eheversprechen gleichkommt oder an manchen Orten sogar als Vollzug der Ehe gedeutet wird. Auch für Talina besaß diese Nacht eine ähnliche Bedeutung und sie fühlt sich vor den Göttern nun an Kenji gebunden. Kenji gestand betrübt, dass Talina etwas Besseres verdient hätte als einen schlechten Ruf und sogar etwas Besseres als ihn. Jast malte Kenji aus, was es für Talina bedeutet hatte. Er hatte sie damals nicht informiert und war einfach gegangen, weshalb sie sich unendlich benutzt und in ihrer Ehre und Selbstachtung missbraucht gefühlt haben musste. Sie sprach dies zwar niemals aus, doch war für Jast deutlich zu spüren, dass sie den Fehler immer nur bei sich gesucht hatte.

Bei diesen Worten hörte Kenji deutlich Jasts Wut, der sich anscheinend schon lange wünschte, der Mann an Talinas Seite zu sein. So lenkte er den Fokus des Gesprächs von der belasteten Vergangenheit zur Gegenwart, denn er wollte vorwärtsschauen, damit es Talina wieder gut ginge. Jast beruhigte sich etwas und gestand, dass er nicht nur gekommen war, um Kenji sein schändliches Verhalten ins Bewusstsein zu rücken, sondern er ihm auch einen Ausweg aus dieser für alle unerträglichen Situation anbieten könnte. Jast erklärte, dass es ein Ritual gibt, welches manchmal benutzt wird, wenn zwei Eheleute partout nicht miteinander leben können und z.B. einer der Eheleute unter dem anderen massiv zu leiden hat. Zwar ist eine derartige „Scheidung“ in Barsaive äußerst selten, weil normalerweise eine Ehe, die vor den Göttern besiegelt wurde, nicht wieder getrennt werden darf, aber dies Ritual gilt als von den Göttern anerkannt. Auch wenn einer der Eheleute z.B. einen göttlichen Auftrag erhält, dessen Bedeutung über der Erfüllung seiner Ehepflichten steht, ist es möglich, eine Trennung zu erwirken. Für das Ritual wird ein Mynbrujequestor und eine Garlenquestorin, sowie zwei Zeugen aus dem familiären oder nahen Umfeld der zu trennenden Partner benötigt, vor welche das Paar treten muss und den Grund seiner Trennung erklären muss. Empfinden die Questoren das Anliegen für die Trennung als gerechtfertigt, werden sie das Ritual durchführen und die Verbindung der Ehegatten vor den Göttern aufheben. Bei dem, was Kenji Talina angetan hat, würden die Questoren bestimmt bereit sein, in ihrem Fall eine Trennung zu vollziehen.

Jast hatte Talina von dieser Idee noch nichts erzählt, und riet Kenji dazu, dass er Talina vorschlägt, dieses Ritual durchzuführen, damit sie endlich frei von ihm ist. Zur Durchführung des Rituals sollte sich Kenji an Odumir Asinger wenden, welcher sicher bereits wäre, ihnen zu helfen. Jast erinnerte Kenji noch einmal, dass es nun an der Zeit sei, Verantwortung zu übernehmen und sich rein auf Talinas Wohl zu konzentrieren. Er hob noch einmal die Disziplin hervor, welche Pyrrhon ihm vergaß beizubringen.

Als Kenji Jast gegenüber andeutete, dass er Talina seine Gefühle für sie endlich offenlegen sollte, erklärte Jast ihm, dass er Talina seine Gefühle nie gestanden habe, da er wusste, dass Kenji ihnen immer im Weg stehen würde und Talina sich niemals auf ihn einlassen würde, da sie sich als zu Kenji zugehörig fühlte. Dann verabschiedete er sich und bat Kenji, mit seinen nächsten Schritten nicht zu lange zu warten.

Octavias Vormittag

Octavia inspiziert das Anwesen und ermittelt, was noch alles zu tun ist, um der Villa wieder eine wohnliche Atmosphäre zu geben. Als sie auf Basin traf, sprach sie ihn auf den blutigen Stein im Atrium an, wo Deron zu Tode gekommen war. Basin erklärte sich bereit, einen Steinmetz zu benachrichtigen, um den Stein austauschen zu lassen, und erzählt bei dieser Gelegenheit Octavia von Derons Grab auf dem Friedhof.

Basin erzählte Octavia, dass Deron ein Grab hat, welches sie aufsuchen könnte, wenn sie sich von ihm verabschieden möchte. Er berichtete weiter, dass sie damals einen Fischer angeheuert hatten, um die Leiche von Deron zu bergen, da man sie im Meer entsorgen wollte. Diese wurde auf dem Friedhof anonym bestattet, in dem Bereich, wo die Überreste von unbekannten oder angespülten Toten bestattet werden. Man kann sein Grab aber an einem kleinen Gedenkstein in Form eines Efeublattes erkennen, welches in Thera ein Symbol für Weisheit ist. Octavia war froh zu hören, dass es ein Grab gibt, und ging auf die Heide vor dem Anwesen, um einige Blumen zu pflücken, welche sie nachmittags zum Grab bringen wollte.

Kenji besucht Talina

Kenji machte sich direkt mit einem Pferd auf den Weg und fand Talina in der Perlenschleiferei. Er bat sie für einen kleinen Augenblick vor die Tür, um mit ihr reden zu können. Sie benahm sich ihm gegenüber immer noch sehr distanziert und erklärte, dass sie sehr viel zu tun und jetzt gerade keine Zeit habe. Kenji erkannte aber sofort, dass dies eine Ausrede ist, da sie anscheinend nicht mit ihm reden möchte.

Kenji bedauert es sehr, ihr damals falsche Hoffnungen gemacht zu haben. Als Kenji ihr dann von dem Ritual erzählt, machte sie zwar keine Luftsprünge vor Freude, war aber bereit, sich seinen Vorschlag anzuhören. Nachdem sie merkte, dass Kenji Verantwortung für das übernehmen möchte, was er verbrochen hatte, gestand sie ihm, dass ihr das Ritual bekannt sei und es ihr wirklich dabei helfen könnte, mit den alten Fehlern abzuschließen. Eine alte Freundin aus dem Tempel, Schwester Garlena, würde sich bestimmt bereiterklären, dass Ritual durchzuführen. Jedoch erinnerte sie Kenji auch nochmal daran, dass sie vorerst beiden Questoren triftige Gründe für ihre Trennung nennen müssen. Außerdem musste mindestens ein Familienmitglied oder ein enger Freund jedes Partners als Zeuge bei der Prozedur dabei sein – sowohl bei dem Vorgespräch, damit die Questoren auch außenstehende Perspektiven aus dem nahen Umfeld der beiden hören können, als auch bei der Trennungszeremonie selbst, um die Scheidung auch zukünftig für beide bezeugen zu können. Kenji entschied sich, er Henk mitzunehmen.

Talina erklärte weiter, dass der Ritus an keinen bestimmten Ort gebunden sei und Kenji einen auswählen könnte. Dieser überlies aber Talina die Wahl und sie schlug vor, die Zeremonie in ihrem Elternhaus abzuhalten, da sie unten in ihrem Krankenhaus ein Zimmer mit einem geweihten Altar der Passionen für die Gebete der Kranken eingerichtet habe. Da Kenji nichts dagegen hatte, lud sie die Questoren und die Zeugen zu ihr ein und bat Kenji darum, einen Mynbrujequestor zu organisieren, wollte jedoch nicht, dass Jast an dem Ritual beteiligt wird. Kenji schlug ihr Odumir Arsinger vor und sie war einverstanden. Auf Kenjis Nachfrage nannte Talina ihren Vater als Familienmitglied, welches am Ritual teilnehmen sollte. Er wüsste zwar noch nichts über die Geschichte, aber sie wollte ihm vorher noch alles erzählen.

Sie verabreden sich auf den Abend eine Stunde vor Sonnenuntergang. Dann entschuldigte sich Talina, als sie aus dem Keller die klagenden Laute der Verwundeten, und ging ins Haus.

Mynbrujequestor Odumir Arsinger

Kenji suchte Odumir im Haupttempel des Mynbruje, wurde aber zurück zum Hafen geschickt, da er dort er Kleidung für Bedürftige verteilte. Kenji fand ihn tatsächlich am Hafen, wo er sich rührend um die verarmten Fischer kümmerte und Nahrung und Kleidung verteilte, welche er gesammelt hatte. Odumir war gerade in ein seelsorgerisches Gespräch mit einer Fischersfrau vertieft, welche sich anscheinend gerade für einen guten Ratschlag bedankte. Als sie sich entfernte, trat Kenji an ihn heran.

Odumir erkannte Kenji sofort wieder und erinnerte sich an den jungen Adepten von Pyrrhon. Um zu erfahren, wie er Kenji helfen könnte, bot er an, einige Schritt gemeinsam zu gehen. Er erwähnte, mit Pyrrhon leider nie viel Kontakt gehabt zu haben, da dieser sich als hartnäckiger Einzelgänger erwies. Jedoch hätte er sich gern häufiger mit ihm unterhalten und mehr über seine balmarische Abstammung erfahren, welche er ihm gegenüber einmal angedeutet hatte. Pyrrhon erwähnte nämlich, dass er von einem alten Geschlecht von weisen Männern, den sogenannten Druiden, abstammen würde, welche in seiner Heimat eine ähnliche Bedeutung besäßen, wie die Questoren für Barsaive, jedoch über Erblinien erwählt werden. Kenji unterbrach ihn sacht, entschuldigte sich und wies auf seine knappe Zeit hin, um dann auf sein Anliegen zurückzukommen.

Kenji beichtete Odumir von seinen Verfehlungen und erzählte ihm die ganzen Ereignisse mit Talina. Auch Odumir betrachtete nach Kenjis Geschichte die beiden als vor den Passionen verbunden und Kenji fragte ihn nach dem Ritual, von dem Jast gesprochen hatte. Odumir hatte es sogar bereits einmal durchgeführt und willigte schließlich ein, noch am selben Abend mit Schwester Garlena die Scheidung zu vollziehen.

Odumir fragte Kenji zum Abschied, ob er es ihm übelnehme, dass er damals den Orden nicht verlassen hatte wie Jast Heidiger, sondern verblieb, um weiterhin offiziell Gutes an den Menschen tun zu können. Kenji versicherte ihm, dass sein Weg für ihn genauso richtig gewesen war wie Jasts Weg für ihn richtig war. Dann entschuldigte Odumir sich, noch einiges erledigen zu müssen, und Kenji ritt zum Anwesen zurück.

Friedhofsbesuch

Octavia pflückte kurz vor Mittag auf der Heide Blumen, als sie Kenji erblickte, welcher aus der Stadt zurück zum Anwesen ritt. Sie ging auf ihn zu, erzählte ihm von Derons Grab und fragte Kenji, ob er mit ihr zusammen das Grab aufsuchen möchte. Sie ließ sich von ihm aufs Pferd helfen und sie ritten rasch gemeinsam zum Friedhof, so dass sich Octavia gut an ihm festhalten musste. Sie hielten am Rande des Boronsackers und betraten den Friedhof. Kenji führte Octavia zu der Stelle, an der die Unbekannten begraben werden, und schnell entdeckte Octavia das kleine Efeublatt. Andächtig und still blieb sie am Grab stehen und legte die Blumen nieder. Beide verharrten schweigend am Grab und gedachten des Toten. Als sie sich schließlich wieder abwendeten, sahen sie den alten Boronsquestor Aedin Schattengrund an einem Grab stehe und sie beobachten.

Als sie an ihm vorbeikamen, wurden sie von ihm für seine verschrobene Art recht freundlich begrüßt. Er hätte nie erwartet, dass aus dem kleinen und schüchternen Adepten Kenji eines Tages ein großer Held würde, der auf ganz Aloran bekannt wäre. Obwohl er die leichte Ironie in seinem Unterton nicht verstecken konnte, war dies offensichtlich aber keinesfalls bösartig gemeint, sondern entsprang eher seiner schrulligen und direkten Art. Aedin begrüßte Octavia freundlich und erinnerte sich sehr wohlwollend an ihren Vater. Er gestand ihr, dass er niemals an ihren Tod geglaubt hatte, und bedauerte sehr, dass es ihrer Mutter anders ergangen war.

Dann sprach Aedin Kenji dann auf die Kapelle an und war darüber informiert, dass dort Vandalismus stattgefunden hatte. Kenji berichtete von dem geschändeten Grab und betonte nochmal, dass er damals nicht über die Besetzung informiert worden war und so kein offizieller Boronssegen auf dem Grab gelegen hatte. Er wunderte sich noch immer, warum er damals eigentlich nicht zu ihm kam, nachdem Pyrrhon starb, schließlich kann nur ein Boronquestor den letzten Segen sprechen und keiner des Mynbruje. Kenji erklärte, dass es sein dringendes Gefühl gewesen war, dass er es selbst durchführen musste. Auch Octavia war verwundert zu hören, dass Kenji Pyrrhon ganz allein in der Nacht seines plötzlichen Todes beigesetzt hatte. Aedin bot an, einen neuen Stein zu erstellen, was allerdings einige Tage dauern würde, und ihn dann gemeinsam mit Kenji aufzustellen. Auch würde er Borons Segen über Pyrrhons Grab sprechen, was Kenji dankend annahm. Kenji sprach Aedin auf Derons Grab an und bat darum, dass auch dort ein offizieller Grabstein gesetzt würde, und Octavia schlug vor, Derons Namen auf das Efeublatt zu gravieren.

Aedin erinnerte sich an Pyrrhon, wie er einst mit Archorbar in Kronstadt angereist war. Dies war noch vor dem Krieg, jedoch waren ihm die genauen Umstände unbekannt. Als Kenji ihn nach den Druiden fragte, erwähnte er, dass Pyrrhon ein gebürtiger Balmarer war und aus der Provinz Lisinien stammte. Pyrrhon hat ihm sogar einmal erzählt, dass er ursprünglich zu den Göttern seiner Heimat und nicht zu den Passionen gebetet hat und einen hohen Rang in seinem Volk besaß. Er wandte sich aber den Passionen zu, da er vorhatte, in Barsaive zu bleiben und dies nun einmal die Götter dieses Landes sind, und hatte seine Weihe zum Questor in Märkteburg erhalten. Aedin glaubte aber, dass Pyrrhon trotzdem seinem alten Glauben nie ganz abgeschworen habe. Als er damals den noch sehr jungen Pyrrhon kennenlernte, war ihm klar, dass dieser bereits viel erlebt haben musste, denn sein Blick wirkte bereits wie der eines alten, weisen Mann, obwohl er noch aussah wie ein halber Knabe. Aedin fragte sich manchmal, ob Elben vielleicht so blicken würden, aber ihm war ein direkter Kontakt noch nie vergönnt gewesen.

Aedin erwähnte noch, dass er in vielen Ansichten mit Pyrrhon gut übereinkam. Sie waren beide etwas zurückgezogene Männer, die häufig an der Dummheit der Menschen zu verzweifeln drohten. Während er jedoch stoischer damit umging, schien Pyrrhon immer so zu wirken, als fühle er sich dafür verantwortlich, irgendetwas in der Welt ändern zu müssen, aber als wüsste er auch nicht was. Daher empfand Aedin Pyrrhons Lebensweg immer als etwas inkonsequent, da er ein spirituelles Leben in der ländlichen Abgeschiedenheit gesucht hatte, es jedoch irgendwie trotzdem nie schaffte, sich aus weltlichem Geschehen herauszuhalten. Kenji erinnerte sich an ein besonders gutes Verhältnis zu Octavias Mutter, doch hatte Octavia keine Idee, worin diese Verbindung bestand. Schließlich brachen sie wieder auf, um zum Mittag wieder auf dem Anwesen zu sein.

Mittagessen mit Planungen

Zum Mittagessen wurden Henk und Adrian von Basin geweckt und trafen auf der Terrasse auf Kenji und Octavia. Zum Mittag gab es jede Menge theranische Spezialitäten, mit welchen die Speisekammern von Vorax gefüllt waren. Als sie gemeinsam beim Mal saßen, sprach Adarian Octavia und Kenji an, was sie denn draußen gemacht hätten, da es nicht gut sei, sich zu trennen, und sie erzählten ihm von Derons Grab und ihrem Besuch auf dem Friedhof. Als Henk sich nach dem Essen zum Rauchen erhob, nahm Kenji ihn zu einem privaten Gespräch zur Seite.

Auf der Terrasse entzündete sich Henk seine Pfeife und Kenji trug sein Anliegen vor. Er bräuchte jemanden, der vor den Göttern für ihn spräche, und da Henk ihn gut kennen würde, benötigte er ihn für die Durchführung eines Rituals. Als Henk ihn immer verwirrter anblickte, erzählte ihm Kenji von seinem schwerwiegenden Fehler in der Vergangenheit und den Konsequenzen für Talina. Dann berichtete er von der Möglichkeit, diesen Fehler soweit es ginge wiedergutzumachen und erläuterte Henk die Funktion des Rituals der Trennung. Als sein Freund versicherte Henk ihm seine Teilnahme und erfuhr, dass er nichts weiter tun musste, als die Wahrheit über Kenji zu berichten, was immer man ihn auch fragen würde, und Henk versprach, nicht zu lügen. Kenji bat Henk darum, dass Octavia von der ganzen Geschichte nichts erfahren sollte. Als Henk anmerkte, dass er diesen Ausweg des Rituals eher traurig fände, erzählte ihm Kenji von Jast und seinen Gefühlen für Talina. Sie verabredeten sich eine Stunde vor Sonnenuntergang vor der Perlenschleiferei Westwind.

Als die beiden von der Terrasse zurückkehrten, erkundete Adarian noch immer das exotische Buffet und ließ sich von Octavia die Delikatessen erklären. Kurze Zeit später kam Basin dazu und meldete Henk, dass ein Herr Wagener gekommen wäre, um mit ihm zu sprechen. Henk fragte Kenji, ob ihm das recht sei, doch dieser kannte offensichtlich keine Person dieses Namens.

Treffen mit Radbod Wagener

Als Radbod Wagener ankam, erkannten Adarian und Octavia ihn sofort als den Bordellbesitzer vom Meerweib, und Kenji kam sein Gesicht seltsam vertraut vor. Als er dann die Stimme hörte, die Henk nach der Bezahlung der Wachen fragte, verlor sein Gesicht jegliche Farbe und er erkannte, wen er vor sich hatte. Henk stellte Octavia als Besitzerin des Hauses vor und er stellte sich als ihr höflich Radbod Wagener, Leiter eines bekannten Etablissements in der Stadt vor. Octavia bedankte sich für die Bereitstellung des Wachpersonals und versprach, sich um die Bezahlung zu kümmern. Kenji hatte sich erhoben und Radbod begrüßte ihn mit den Worten „Ich freu mich“, während er ihm die Hand reichte. Kenji musterte Radbod lange und Henk entschuldigte sich bei beiden, dass er sie nicht eher vorgewarnt hatte, da sie beide ja erwähnt hatten, dass sie kein Problem mit der Vergangenheit hätten. Als Octavia merkte, dass es Kenji etwas unangenehm zu sein schien, entfernte sie sich dezent vom Tisch und überließ die Herren ihren Gesprächen.

Nachdem Kenji die Sprache wiedergefunden hatte und seine Verwunderung über den bürgerlichen Namen seines alten Bekannten kundtat, bot Henk Radbod einen Platz am Tisch an und Adarian bot ihm etwas zu essen an. Nachdem Radbod Adarian vorgestellt wurde, freute er sich sehr, nun plötzlich so viele bedeutende Persönlichkeiten zu kennen, und Kenji berichtete davon, wie Radbod oder Ratte, wie er sich damals nannte, ihm damals das Leben gerettet hatte, weil er ihn in seine Gang aufnahm. Kenji erzählte, dass er aus dem Tempel geflohen war und dann eine Weile auf der Straße gelebt hatte. Ratte gestand Kenji, dass dieser zwar nie wirklich einer von ihnen war, er Kenji aber immer gemocht hatte. Dann sprach er Kenji auf das Verschwinden von Olrig an, mit dem Kenji damals als letztes unterwegs gewesen war, und Kenji erzählte ihm vom Tod des Jungen, welcher auch der Grund war, weshalb er niemals zurückgekehrt war (vgl. auch Kenjis Charaktergeschichte). Radbod war entgegen einiger Befürchtungen Kenjis nicht verärgert wegen damals und, als er die Wahrheit erfuhr, war er sehr traurig üben den getöteten Jungen, den er aber auch leider schon immer als Tollpatsch in Erinnerung hatte.

Kenji versicherte Ratte, dass, wenn er jetzt für Henk arbeiten würde, er für die bestmöglichen Schatten tätig wäre, und Henk nickte ihm zu. Ratte verstand und Henk erzählte davon, wie seine Freunde alle in Jerris den Eid des Phex geleistet haben. Dennoch war es Henk lieber, wenn über derzeitige Aktivitäten nicht so offen gesprochen würde, um den Eid nicht allzu sehr zu belasten. Henk berichtete noch von einer Einladung in die „Grüne Rast“ und schlug vor, dort gemeinsam zu feiern und über alte Zeiten zu sprechen. Auf dem Weg zur Tür wollten die beiden dann noch interne Dinge besprechen.

Als Henk und Radbod durchs Atrium schlenderten, erzählte er, wie glücklich nun alle waren, weil jetzt endlich das Geschäft mit Gastwirt Grifo abgeschlossen wurde. Außerdem ließ Schwarzbart ausrichten, dass die Kapelle nun geräumt war und keine Spuren mehr vorhanden wären. Henk wollte auch wissen, ob Kaltfisch aufgenommen wurde, was Radbod bestätigte, und ob sich Grifo bei Kaltfisch auf den Knien entschuldigt hätte, doch das Treffen der beiden sollte erst am Abend stattfinden.

Henk informierte Radbod, dass seine Planung mit Vorax‘ Prostituierten nicht so liefen wie gewünscht. Da Octavia die offizielle Gesandt war, würde alles den offiziellen Weg gehen müssen, was bedeutete, dass die Gilde vermutlich für die Damen zahlen müsste, um sie auszulösen. Ein lukratives Angebot würde sie bestimmt überzeugen, für die Gilde zu arbeiten. Radbod war begeistert und freute sich auf die Aussicht über die exotischen Damen. Er sorgte sich aber darum, ob solch exklusive Damen überhaupt Abnehmer fänden bei den Matrosen und Tagelöhnern, welche im Meerweib abstiegen. Henk stimmt zu und ihm fiel das Bardenviertel in Jerris ein, wo solche Damen stets gesucht wurden. Daher wollte Henk mit der Briccone-Familie in Kontakt treten und alles nötige regeln. In diesem Zusammenhang erzählte Henk Radbod von seiner Verlobung mit Viola Briccone, was ihm eine gute Verbindung zu den Briccones einbrachte. Radbod erinnerte sich an seinen Aufenthalt in Jerris, bei dem er den Phex-Tempel aufsuchte, um ein Vollmitglied zu werden. Dort lernte er auch Mjonflir kennen, den seltsamen Mann, welcher wie ein Halb-Zwerg wirkte, und Radbod war traurig, als Henk ihm von dessen Tod berichtete. Zum Abschied versicherte Radbod, dass er genauso auf seine Mädchen aufpassen würde, wie er damals auf seine Straßen-Jungen aufgepasst hatte. Henk dankte ihm für seine gute Arbeit und versicherte ihm, dass der Fuchs ihn damals nicht erwählt hätte, wenn er nicht eine Bestimmung in der Gilde zu erfüllen hätte.

Als Henk zum Tisch zurückkehrte, berichtete er Kenji, dass Radbod sich sehr gefreut hatte, ihn wiederzusehen. Kenji war froh zu sehen, dass es Radbod gut ging und zu Kenjis Beruhigung erklärte Henk, dass Radbod von der Gilde ausgewählt worden war, weil er ein Talent dafür hätte, sich um andere Menschen zu kümmern, was er in der Betreuung seiner Mädchen unter Beweis stellen würde. Kenji unterstrich, dass ein moralisch richtiges Verhalten leicht sei, wenn es einem gut gehen würde, aber Ratte hätte es auch damals, als es auf der Straße allen schlecht ging, nie ausgenutzt, dass er der Stärkste und der Klügste von ihnen war. Henk bestätigte, dass solche Personen genau die Schatten seien, die sich seine Gilde aussuchen würde, um mit ihnen ihre Reihen zu füllen. Kenji war deshalb auch nicht verwundert, dass Ratte seinen Weg zu den Füchsen gefunden hatte, und er hoffte, dass Henk jetzt auch ein bisschen weniger verwundert war, warum er als Mynbrujequestor teilweise relativ viel über die Schatten wusste. Henk nickte und meinte:

„Manchmal macht es mich traurig, dass ich denke, wenn das hier mal alles vorbei ist, wird über uns und das, was wir getan haben, die die wir im Verborgenen handeln, keiner singen. – Aber das ist auch in Ordnung so. Das war schon immer so.“

Henk war nur froh, dass wenigstens seine Freunde jetzt wissen, dass die Füchse in der Lage sind, für das Richtige einzustehen, auch wenn sie es manchmal vielleicht etwas anders auslegen. Darauf trank er einen und Basin kam ins Wohnzimmer. Er vermeldete, dass die Kutsche nun bereitstünde, und Octavia nahm das Testament und bat Henk, wie geplant mit in die Stadt zu kommen. Da es um Octavias Erbe ging, wollte Henk sie auch auf keinen Fall allein dorthin fahren lassen. Octavia musste aber noch wissen, wieviel Geld für die Anstellung der Wachen benötigt wird, und so kam auch die Frage auf, wie viel Erbe überhaupt zur Verfügung steht. Henk betonte, dass er auch schon einige Ausgaben hatte, seit sie hier waren. Sie erstellten eine Liste der laufenden Kosten, um in der Bank vorbereitet zu sein, und nehmen die Kutsche in die Stadt.

Der Bankbesuch

Octavia und Henk suchten den Tempel des Chorollis auf und sie wurden freundlich begrüßt. Der Bankier Humban Marag erkannte Octavia sofort und stellte sich als ihr persönlicher Bankier vor. Nachdem Octavia Henk vorgestellt hatte, bedankte sich Bankier Marag im Namen von Chorollis und aller Mitarbeiter dafür, dass sie nun dank der Helden von den unmenschlichen Steuern des Prokonsuls befreit waren und in Zukunft auf bessere Geschäfte für die inzwischen verarmte Stadt hofften. Octavia prognostizierte ihm nach Vorax Ende bessere Zeiten für Kronstadt und Bankier Marag führte sie in sein Büro. Auf dem Weg war zu erkennen, dass der Tempel recht leer und kaum Kunden anwesend waren, da anscheinend kaum noch jemand genügend Geld besaß, um es anzulegen.

Bankier Marag hatte noch gute Erinnerungen an Octavias Vater, welcher mit seiner Bibliothek eine große Bereicherung für die Stadt war. Sein Onkel, ein Gelehrter hier aus Kronstadt, welcher sich mit alten Sagen der Region, besonders des Arasmeeres beschäftigte, war häufiger in der Bibliothek zu Besuch und half Botschafter Aequus bei seinen Forschungen. Sein Name war Aureus Cortak und Octavia konnte sich noch an den verschrobenen Typ mit dem Buckel erinnern, welcher streng roch und die gruseligsten Geschichten über das Arasmeer erzählen konnte. Er war inzwischen verstorben, hatte aber stets gut über Aequus gesprochen, und nachdem Octavia ihr Beileid ausgesprochen hatte, fragte Bankier Marag sie nach ihrem Anliegen.

Octavia erklärte, dass sie das Erbe ihres Vaters antreten möchte, und zeigte Bankier Marag das Testament des Aequus. Sie erbat Auskünfte über das Vermögen der Familie und, nachdem der Bankier das Testament gelesen und Octavia als Erbin anerkannt hatte, konsultierte er einige Bücher, schrieb Octavia eine größere Summe Gold auf einen Zettel, drehte diesen mit der lesbaren Seite auf den Tisch und schob ihn ihr herüber. Octavia konnte sich nun die genau Summe ihres Erbes ansehen und wurde dann gefragt, wieviel sie abheben möchte.

Nachdem der Bankier das Gold geholt hatte, kam er plötzlich mit einem Kasten zurück. Er gehörte ebenfalls zu dem Erbe und war hier von ihrem Vater für den rechtmäßigen Erben hinterlegt worden. Bankier Marag übergab Octavia die Kiste, welche sie direkt öffnete. Sie enthielt einige alte Orden und militärische Abzeichen ihres Vaters aus seiner eigenen Dienstzeit und einen goldenen Lorbeerkranz. Außerdem lag in der Kiste ein kleiner Zettel, der in der Handschrift ihres Vaters beschriftet war.

Zur Wahrheit bringt jedwedes Ding die Zeit, die alldurchdringende.

VII : IV : III : IX : III : VIII : I : VI : III : V

Henk fiel noch eine Notiz an der Schließfachkiste der Bank auf. Sie war von Deron am 5. Astoar 347 i.J.P. im Auftrag von Aequus in dem Chorollis Tempel eingelagert worden. Er erzählt Octavia davon aber noch nichts, als diese alles wieder in einem Kasten verstaute, sondern nahm nur das Gold mit. Die Verteilung der Gelder wollte Octavia klären, wenn sie mit der Kutsche zurück im Anwesen wären.

Die Rückfahrt

Auf der Rückfahrt von der Bank starrte Octavia die ganze Zeit auf den Zettel, und Henk äußerte seine Vermutung, dass es sich um eine verschlüsselte Botschaft handeln könnte. Doch Octavia wurde aus den Zahlen nicht schlau und Henk teilte ihr mit, dass die Schließkassette genau zwei Tage vor dem Attentat auf ihrenVater eingelagert worden war. Der Inhalt musste also von großem Wert sein und sie wollte später mit allen darüber reden. Henk bat Octavia, vorerst nur mit Adarian darüber zu sprechen, da er nun noch einmal in die Stadt zu müsse, um sich mit Kenji zu treffen. Als Octavia besorgt nachfragte, ob alles in Ordnung sei, versicherte ihr Henk, dass Kenji ihn lediglich um einen kleinen Gefallen gebeten hätte und sie sich keine Sorgen machen müsste. Henk versprach, mit Kenji am späteren Abend zurückzukehren, und machte sich auf den Weg zum vereinbarten Treffpunkt.

Kenjis Lösung

Questoren Asinger und Questorin Garlena warteten bereits an der Perlenschleiferei, als Kenji und Henk eintrafen. Nach einer kurzen Vorstellung gingen alle nach unten zu dem kleinen Altar von Talinas improvisiertem Hospital. Talina hatte ihren Vater als Zeugen erwählt und alle vier nahmen vor den Questoren Platz. Odumir Asinger ließ als erster Kenji den Grund seines Wunsches nach Trennung vortragen und fragte ihn:

Nenne den Grund, warum die Götter dich von dieser Frau lösen sollten!

Bereits mit meiner Geburt, vielleicht vorher, wurde mir ein Weg beschieden, den ich lange gewandelt bin, ohne ihn zu kennen. Mit der Führung meines Lehrmeisters Pyrrhon von Lis wurde mir eine Aufgabe übertragen, deren Ziel ich jeden Tag versuche besser zu verstehen. Alles was ich weiß ist, dass es die Begleitung derer, die ich jetzt meine Freunde nenne – einer davon sitzt jetzt hier neben mir – Henk, des Weiteren Octavia und auch Adarian von Wallenrode ... wir alle sind, und das ist mir unzweifelhaft sicher seit der Reise in den Norden, sind Werkzeuge der Passionen, um ein Unheil abzuwenden von Barsaive, von Aloran. Was genau unsere Aufgabe ist, nun, das liegt in den Augen der Passionen. Aber wir haben Kämpfe gekämpft, und wir haben Schlachten geschlagen – wir sind bis jetzt siegreich daraus hervorgegangen und ich weiß, dass unsere Aufgaben noch nicht beendet ist, dass es alles von uns verlangen wird. Ich weiß, dass sich diese Aufgabe nicht mit dem verbinden lässt, was Talina verdient hätte, und ich weiß, dass mein Weg ein anderer ist. Da bin ich mir ganz sicher.

Während Kenji sprach, nickte Henk immer wieder bekräftigend und schaute offen in die Runde der Anwesenden. Als Kenji geendet hatte, wurde Henk als sein Zeuge gefragt, ob er die Worte seines Freundes für aufrichtig hielt und ob er noch etwas hinzufügen möchte.

Ich halte die Worte meines Freundes für sehr aufrichtig, absolut. Es ist wahr, was er spricht. Wir sind im Auftrag der Passionen unterwegs, dessen bin ich mir so sicher wie er, denn ich kann aus meiner eigenen Erfahrung bestätigen, dass ich bereits gestorben bin und die Geschichten darüber stimmen, dass ich zurückgeschickt wurde von den Passionen selbst. Und hätten wir den Questor nicht ab einem bestimmten Zeitpunkt unserer Reise bei uns gehabt, der jetzt nicht nur unser Questor, sondern auch unser Freund ist, wären wir niemals soweit gekommen. Deshalb war ich schon immer überzeugt davon, dass es eine Fügung des Schicksals, also eine Fügung der Passionen war, die uns an diesem Tag zusammengebracht hat. Und er war und ist ein unabdingbarer Bestandteil dieser Gemeinschaft, denn, wie wir auch erfahren konnten auf unserer Reise in den Norden, funktioniert das mögliche Bollwerk, was wir versuchen zu errichten gegen die Dämonenscharen, die uns alle bedrohen, nur, wenn unsere Gruppe zusammen ist. Andererseits verliert diese Kraft, die wir momentan dem Bund von Utukk'Xul entgegensetzen, nicht mehr.

Kenji fügte noch hinzu:

Die Reise in den Norden hat uns in den Besitz eines Artefakts namens Drachenträne gebracht. Und wie wir inzwischen wissen, ist dieser Gegenstand an unser Blut gebunden und an unseren Anteil an dieser Gemeinschaft. Niemand von uns kann sich von der Gemeinschaft entfernen, ohne dass die Drachenträne Schaden davonträgt und sogar zerstört wird. Wir wissen noch nicht ganz genau, was wir mit dieser Drachenträne anfangen sollen, aber sie ist ganz sicher integraler Bestandteil der Lösung im Kampf gegen das Dunkel. Und das bestätigt unsere Vermutung, dass wir alle unser Leben und unser Schicksal geben müssen und an nichts anderes gebunden sein können. Das ist der Wille der Götter.

Nachdem Kenji und sein Zeuge gehört wurden, fragte Questorin Garlena ihre ehemalige Schwester Westwind nach dem Grund für die Trennung. Talina erklärte, dass sie nicht entschuldigen könnte, was sie getan hatte, und dass sie unüberlegt mit Kenji eine körperliche Verbindung eingegangen war. Dabei war ihr vollkommen bewusst gewesen, dass sie ihr heiliges Gelübde vor der großen Mutter Garlen gebrochen und damit eine große Freveltat vollbracht hatte. Talina gestand ein, dass sie bereits damals nach der gemeinsamen Nacht die Götter um Vergebung hätte bitten müssen, sich jedoch zu sehr geschämt habe und noch darauf wartete, dass Kenji sich zu ihr bekennen würde. Doch nun wollte sie sich endlich von Kenji lösen, da ihr inzwischen bewusst war, dass er einen anderen Weg gewählt hatte und die Götter ihn als Helden auserkoren haben. Sie bat deshalb die Questoren, sie von dieser unmöglichen Verbindung mit Kenji zu trennen, damit sie beide neue Wege im Sinne der Passionen beschreiten können.

Auch ihr Vater wurde befragt und bestätigte die Aufrichtigkeit der Worte seiner Tochter. Er fügte etwas aufgebracht hinzu, dass er erst vor wenigen Stunden von den Sünden seiner Tochter erfahren habe, aber nun ihr gesamtes Verhalten der letzten Jahre verstehen konnte. In diesen hatte sie schrecklich gelitten und, wenn er bereits damals erfahren hätte, was Kenji ihr angetan hat, hätte er dem „unverschämten Bengel sofort den Hintern versohlt“. Er bat deshalb die Questoren, seine Tochter von diesem „Schürzenjäger im Questorengewand“ zu lösen, damit sie beide Frieden finden können und Kenji seiner Bestimmung nachgehen kann, denn die Götter schienen ihn wirklich auserkoren zu haben.

Die beiden Questoren zogen sich kurz zurück, um sich zu beraten. Nach ihrer Rückkehr verkündeten sie, dass sie die Trennung durchführen werden. Sie stellten sich vor Kenji und Talina auf, deren Zeugen schräg hinter ihnen standen, und sprachen gemeinsam das große Passionengebet.

Hört meinen Ruf, heilige Passionen! Ihr göttlichen Bewahrer von Himmel und Erde! Edle Hüter Barthavions! Eure Botschaft ist das Licht! Vertreibt die Schatten und erleuchtet die finsteren Orte! Erhellt die Herzen der Verzweifelten und seid ihnen ein Licht im Dunkeln! Lasset euer Licht über uns allen erstrahlen und seid unser führender Stern! Denn euer Licht ist unser Licht, im Leben und im Tod!

Die Questoren erhoben ihre Hände wie segnend über die beiden und sprachen gemeinsam:

Heiliger Vater Mynbruje, heilige Mutter Garlen - vor Euch stehen die beiden Menschen Talina Westwind und Kenjiro Asai. Sie bitten Euch um neue Wege für sich, denn ein gemeinsamer Weg ist für sie unmöglich. Blickt in ihre Herzen und fühlt ihren Schmerz und ihre Reue. Löst das Band zwischen ihnen, damit sie ihren Weg im Sinne der Passionen gehen können.

Ein Licht ging von ihren Händen aus und hüllte die beiden zunächst gemeinsam ein. Dann teilte sich das Licht und jeder stand in einem eigenen Lichtkegel.

Es ist vollbracht. Geht jetzt mit der Kraft des Lichtes euern eigenen Weg. Möge das Licht der Passionen mit euch sein!

Die heilige Atmosphäre wurde noch von allen andächtig in sich eingesogen und nach einer Weile verabschiedeten sich die Questoren und gingen. Talina wirkte außerordentlich erleichtert und dankte Kenji nochmal dafür, dass er ihr geholfen hatte, endlich wieder mit den Passionen ins Reine gekommen zu sein. Sie konnte nun endlich mit der Vergangenheit abschließen und Kenji hätte sogar verstanden, wenn Talina ihn nun hassen würde, doch sie gestand ihm, dass sie auch ihm nun endlich vergeben könnte. Talina bot an, dass Kenji und seine Freunde ihre Hilfe jeder Zeit in Anspruch nehmen könnten und sie alles tun würde, um ihre Aufgabe zu unterstützen. Kenji bedankt sich bei Talina und wünschte ihr mit ganzem Herzen alles Gute in dieser Welt. Henk stand etwas abseits und bestand darauf, dass die beiden nicht ohne eine herzliche Umarmung auseinander gehen könnten und klopfte ihnen aufmunternd auf die Schulter. Als sich beide in den Armen liegen, klopfte es plötzlich an der Tür.

Es war Jast Heidiger, der gesehen hatte, dass die Questoren wieder gegangen waren und ihre Aufgabe erfüllt hatten. Talinas Vater hatte ihn hineingelassen und als Talina ihn sah, konnte Kenji sofort sehen, wie ihre Augen zu strahlen begannen. Ehrlicherweise musste sich Kenji eingestehen, dass Talina ihn niemals mit so erfüllten Blicken angesehen hatte, und er spürte deutlich, dass Jast diese Blicke freudig erwiderte und ihr ähnlich entgegenstrahlte. Kenji merkte eindeutig, dass sich zwischen den beiden große Gefühle abspielten und Talina mit Jast einen sehr aufrichtigen und treuen Mann bekommen würde.

Talina entschuldigte sich nun bei allen und erklärte, dass sie mit Jast nun noch etwas zu besprechen habe. Die beiden verabschieden Kenji und Henk und alle merkten, dass beide nur noch Augen füreinander hatten und es kaum erwarten konnten, die Tür hinter ihnen zu schloss. Talinas Vater war nicht mehr ärgerlich und bedankte sich beim Hinausgehen bei Kenji, dass dieser seinen Mann gestanden hatte. Kenji erwiderte:

Ich bereue vieles in meinem Leben, aber als ich erfahren habe, wie sehr ich eurer Tochter weh getan habe, da lag das schwerer im Herzen als das meiste. Ich bin froh, dass sie jetzt eine bessere Chance hat.

Henk holte seinen Flachmann heraus und alle stießen an, bevor sich Henk und Kenji frierend auf ihren Weg zum Anwesen machten.


Fortsetzung: Episode 20-10: Schicksalsboten